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Idee
Konfliktlandschaften interdisziplinär erforschen
„Wir untersuchen gewaltüberformte Orte als Konfliktlandschaften mit einem integrierten Methodenspektrum, das von den Naturwissenschaften bis zu den Geistes- und Kulturwissenschaften reicht.
Dabei interessiert uns das Verhältnis zwischen materieller Transformation und diskursiver Konstruktion von „Schlachtfeldern“ bzw. Gewaltorten mit Blick auf deren Ereignishorizonte, vor allem aber auch auf deren Narrativierung als Geschichte.
Ziel ist ein besseres Verständnis der fortwährenden Übersetzung zwischen Geschichte und Landschaft, um diese Prozesse historischen Lernens zu erschließen.“
Unsere interdisziplinäre Auseinandersetzung mit Konfliktlandschaften setzt bei der Materialität von Orten an, in die sich geschichtliche Konflikte eingeschrieben haben, und reicht bis zur diskursiven Produktion dieser Orte und ihrer Imagination. Es geht dabei um eine Verbindung von Befunden, die mit Methoden der Archäologie oder etwa der Geowissenschaften erhoben werden, mit geschichts- und kulturwissenschaftlichen Erkenntnissen, und um eine Weitung der zeitlichen Perspektive vom primären Ereignishorizont zu allen Transformationen, Aufladungen, Deutungen und Verwischungen, die ein Ort aufgrund seiner Eigenschaft als Schauplatz eines historischen Konflikts erfährt.
Der Begriff umfasst nicht nur ‚Schlachtfelder‘ im engeren Sinne, sondern kann sich auf alle Orte beziehen, die aufgrund eines Konflikts eine materielle oder narrative Überformung erfahren haben. Es kann sich also ebenso um den Schauplatz einer militärischen Auseinandersetzung handeln, wie um den Standort eines Lagers oder einer Befestigungsanlage, um einen Grenzstreifen ebenso wie um einen als Konfliktlandschaft gedachten Ort.
Konfliktlandschaftsforschung am Standort Osnabrück
Die Konfliktlandschaftsforschung ist an der Universität Osnabrück bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten über die Kooperation des Historischen Seminars bzw. der Professur für die Archäologie der römischen Provinzen mit dem Museum und Projekt Kalkriese bei der Erforschung des Ortes der Varus-Schlacht etabliert. Die Universität Osnabrück zählt damit zu den profilierten Standorten der Schlachtfeldarchäologie in Deutschland. Die Erkenntnis der Bedeutung von post-battle-processes für das Verständnis historischer Konfliktlandschaften ist einer ihrer wesentlichen Beiträgen zur Entwicklung einer interdisziplinären Konfliktlandschaftsforschung.
Diese formiert sich an der Universität Osnabrück über eine Verbindung von Archäologie, Physischer Geographie, Bodenwissenschaften, Informatik, Geschichtswissenschaft sowie der Kunst und Kunstpädagogik – als forschende Kunst – zu einem integrierten, interdisziplinären Ansatz, der Boden und Landschaft, schriftliche, dingliche und mündlich überlieferte Quellen sowie Resonanzen konfliktgeladener Orte in der lokalen bzw. kollektiven Erinnerung und daraus resultierender Praktiken zusammenführt. Es geht damit um den Übergang von einem Nebeneinander unterschiedlicher Zugänge zu Konfliktlandschaften zu einer echten Kooperation der Disziplinen. Diese lässt ein facettenreiches Bild mit seinen Fragen und Widersprüchen – aber auch mit seinen Befruchtungen und Erkenntnissen – nicht nur zu, sondern stellt es ins Zentrum der Analyse.
Unser Ansatz
Innerhalb der historisch-archäologischen Forschung spielen zerstörungsfreie Erkundungsverfahren eine immer größere Rolle. LiDAR-Fernerkundung und geophysikalische Erkundungsverfahren, wie Magnetometrie, Georadar oder Geoelektrik, gehören heute zu den bekanntesten Methoden innerhalb einer breiten Palette bildgebender, geowissenschaftlicher Prospektions- bzw. Explorationstechniken. Grundsätzlich bezeichnen wir die nichtinvasive (zumeist erstmalige) Erfassung von möglichen unsichtbaren archäologischen Strukturen im Untergrund und im Feinrelief mittels o. g. Techniken als Prospektion. Als Exploration verstehen wir die weitergehende, aktive Erforschung vorher prospektierter oder bereits bekannter Strukturen bzw. archäologischer Stätten. Eine Exploration kann z. B. durch Bohrungen oder auch durch geophysikalische Methodenkombinationen unterstützt bzw. realisiert werden. Auf die Exploration folgt in unserem Ansatz in der Regel eine archäologische Maßnahme (Sondage oder Grabung). Für uns ist diese Methodenkette ein zentrales Mittel, um auch heute zunächst nicht mehr als solche erkennbare Konfliktorte zu kartieren und tiefergehend zu untersuchen. Als solche verstehen wir beispielsweise Orte kurzzeitiger, intensiver Konflikte oder Kampfhandlungen sowie gezielter/organisierter Unterdrückung und Ermordung von Menschen deren Spuren heute mit bloßem Auge nicht mehr erkennbar sind.
Unsere Methoden können also durch menschliche Eingriffe hervorgerufene unsichtbare Spuren von Gewalttaten in der Konfliktlandschaft sichtbar machen, auch wenn durch Verfüllung oder andere Überformungen (z. B. Landwirtschaft) diese Spuren nicht mehr im Gelände nachweisbar sind. Aus dieser Perspektive teilen wir Konfliktlandschaften in drei Klassen ein.
- Typ 1 weist bauliche Überreste auf
- Typ 2 ist durch deutliche Oberflächenbefunde bzw. archäologische Spuren gekennzeichnet
- Typ 3 besitzt weder offenkundige bauliche Überreste noch Oberflächenspuren.
Solche Klassifizierungen und Kartierungen, die eine Prospektion durch Inaugenscheinnahme ergänzen und systematisieren bilden eine Grundlage für weiterführende interdisziplinäre Betrachtungen und methodische Weiterentwicklungen. Ihre Ergebnisse helfen, archäologische Grabungen oder bodenkundliche Untersuchungen zu planen und zu situieren, sie bilden eine Folie für die Interpretation von schriftlichen Quellen, Zeitzeugenberichten oder anderen Artefakten und korrespondieren vielfältig mit dem Zugriff der forschenden Kunst auf die Landschaft und ihre Aufladungen einerseits, die Präsenz der Wissenschaft und ihrer Befunde andererseits.
Im Osnabrücker Ansatz verstehen sich die Zugänge der beteiligen Disziplinen
- Physische Geographie
- Archäologie
- Informatik
- Geschichtswissenschaft
- Kunstdidaktik/Künstlerische Gestaltung
weder additiv noch konkurrierend, sondern als sich wechselseitig bereichernde und ergänzende Sichten in ständigem Austausch.
Prospektionen
Des Gesamtprojekt Konfliktlandschaften setzt sich aus mehreren Teilprojekten zusammen. Diese widmen sich nicht nur gänzlich unterschiedlichen Orten und Epochen, sondern nutzen auch verschiedene methodische Zugriffe. Die individuellen Projekte erarbeiten damit durch die mehrebige Betrachtung der jeweiligen Konfliktlandschaft einen neuen thematischen Zugriff auf ihren Gegenstand. Gemeinsam zielen sie darauf ab, den Ansatz Konfliktlandschaften interdisziplinär weiter zu etablieren. Wir versprechen uns dabei sowohl neue historische Einblicke und Einsatzmöglichkeiten, als auch wechselseitige methdodische Erkenntnisse durch den Einsatz modernster Erkundungsverfahren zur Bearbeitung sozial- und geisteswissenschaftlicher Fragestellungen.