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„HELDENGEDENKEN“, REVISIONSMUS, MILITARIAKULT – HERAUSFORDERUNGEN FÜR FORSCHUNG UND VERMITTLUNG AUF EINEM “SCHLACHTFELD” DES ZWEITEN WELTKRIEGES (Februar 2020)

Mitarbeiter*innen des Projekts Lernort ‘Schlachtfeld’? Neue Didaktik einer Konfliktlandschaft Hürtgenwald der Universität Osnabrück (Leitung Prof. Dr. Christoph Rass) bereiten eine interdisziplinäre Prospektion des “Schlachtfeldes” im April 2020 vor. Die „Schlacht im Hürtgenwald“ scheint 75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges in der deutschen Geschichtsschreibung nahezu vergessen. In der Rur-Eifel in Nordrhein-Westfalen jedoch, dem Schauplatz jener „Schlacht im Hürtgenwald“ zwischen US-Army und Wehrmacht (1944-1945),  finden sich bis heute zahlreiche aktuelle und historische Zeugnisse einer Erinnerungskultur, die auf ein vielstimmiges und nicht wenig problematisches Verständnis von Krieg, Gewalt und NS-Herrschaft verweisen.

Februar 2020 – ein von “Rollenspielern” (Reenactment) angelegtes Schützenloch am Kall-Trail im Hürtgenwald [Foto: M.Adam].

Seien es sogenannte Splitterkreuze, Gedenk- oder Mahntafeln, Funde von Munition und deren fragwürdige Präsentation als technische Artefakte, Überreste des durch die Propaganda des „Dritten Reiches“ überhöhten „Westwalls“ oder von Anhänger*innen des Reenactment gegrabene fox holes oder Schützengräben, die das eigentliche Gefechtsfeld, das heute ein eingetragenes Bodendenkmal ist, zerstören.

Solche Beobachtungen im „Hürtgenwald“ offenbaren, dass die Ereignisse vor 75 Jahren keineswegs einfach Vergangenheit sind, sondern Geschichte und Erinnern im Kontext der “Schlacht im Hürtgenwald” fortwährend und durchaus kontrovers neu ausgehandelt werden.

Kritische Stimmen und differenzierte Herangehensweisen sind dabei durchaus präsent – vorzuherrschen aber scheinen eher revisionistische Perspektiven.

So rührt die Aktualität des Themas nicht allein aus der massiven materiellen Präsenz von Krieg und Erinnerungskultur her, sondern auch von einer problematischen inhaltlichen Aufladung.

Gedenkstein auf der Kriegsgräberstätte Simmerath-Rurberg [Foto: M.Adam].

Damit werden zentrale Aspekte des Zweiten Weltkrieges, der Rolle der Wehrmacht und der deutschen Gesellschaft sowie der NS-Herrschaft aus ihrem Kontext gerissen – oder gar nicht erst zum Teil der Erzählung. Es vermittelt sich vielfach ein verharmlosendes und unkritisches Geschichtsbild.

Vereinzelt gelegene, mitunter inoffiziell errichtete Erinnerungsorte bzw. -zeichen verweisen bis heute vielfach auf Wehrmachtssoldaten als „Opfer des Krieges“. Eigentliche Opfer, die von den Nationalsozialisten bis zum Tode misshandelt wurden, wie etwa sowjetische Zwangsarbeiter*innen, finden dagegen eine kaum ausreichend würdige Beachtung. Gewaltobjekte des Krieges dagegen werden als sehenswerte Kriegstechnik in musealer Inszenierung verharmlost.

Aus Sicht der Forschung gilt es zum einen zu dokumentieren, welche Spuren des Krieges bis heute nachwirken bzw. präsent sind und wie die gesellschaftliche Aushandlung von Geschichte darauf Bezug nimmt.

In diesem Zusammenhang gilt es nicht zuletzt auf problematische Aneignungs- und Wandlungsprozesse hinzuweisen, um Chancen für einen reflektierten Umgang mit der Geschichte in der Region zu fördern.

Miarbeiter und Studierende der Universität Osnabrück bei der Untersuchung einer MG-Stellung der US-Armee nahe Vossenack (2015) [Foto: Uni Osnabrück].

Die fortwährende Zerstörung von Bodendenkmälern im Hürtgenwald durch sogenannte Reenactor, die in den Wäldern den Krieg nachspielen, und durch Raubgräber, die auf dem “Schlachtfeld” illegal nach Kriegsschrott, Waffen und Munition – bisweilen auch nach noch vermissten “Gefallenen” – suchen, sind nur eine Spielart einer bedenklichen Geschichtskultur, die bisher weitgehend ungehindert im Hürtgenwald Raum greifen kann.

Im April 2020 sollte sich sich die erste große Prospektion des Projekts Lernort ‘Schlachtfeld’? Neue Didaktik einer Konfliktlandschaft Hürtgenwald den damit aufgeworfenen Fragestellungen widmen, das Unternehmen musste jedoch aufgrund der Maßnahmen gegen die Covid-19 Pandemie zunächst auf den Herbst des Jahres verschoben werden.

Vom Projektteam im Gelände eingemessen: der Frontverlauf östlich Vossenack Anfang November 1944 [Foto: Uni Onsabrück].

Ein interdisziplinäres Team aus Geoinformatik, Geoarchäologie, Archäologie und Geschichtswissenschaft dokumentiert und untersucht im April 2020 einerseits die Spuren der Kämpfe im Boden. Andererseits werden ausgewählte Bereiche des „Schlachtfeldes“ vermessen, um systematisch die Zerstörung des Bodendenkmals durch Raubgrabungen und Reenactment zu dokumentieren und die damit verbundene problematische Erinnerungskultur zu untersuchen.

Das Ziel des Vorhabens ist neben der Beantwortung von Forschungsfragen zum Verlauf der Kampfhandlungen sowie der post battle processes vor allem der Versuch, in der Region zur Entwicklung eines kritischen Bewusstseins für einen ebenso zerstörerischen wie revisionistischen Umgang mit einer wichtigen Konfliktlandschaft des Zweiten Weltkrieges in Westdeutschland beizutragen.  

Mirjam Adam, M. Ed.
Dr. Andreas Stele
Prof. Dr. Christoph Rass