Interdisziplinäre Arbeitsgruppe

KONFLIKTLANDSCHAFTEN


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Erkenntnisse und Perspektiven

Die der Universität Osnabrück bisher nicht erteilte Betretungserlaubnis zur Durchführung wissenschaftlicher Untersuchungen auf den dem Lager angrenzenden Flächen verhindert bisher die Prospektion des Areals auf dem die Erschießungsgruben und Massengräber des “Herold"-Massakers im April 1945 zu vermuten sind.

Wichtiges Anliegen in der weiteren Forschung ist damit, die Prospektion auf diese Flächen auszudehnen. 

Die in der ersten Prospektion im September 2019 erzielten Ergebnisse verweisen darauf, dass die Kombination geschichtswissenschaftlicher und geoarchäologischer Methoden bei der nicht-invasiven Erforschung von Massengräbern und ehemaligen Lagerstandorten aus dem Kontext des Zweiten Weltkrieges bzw. der Zeit des Nationalsozialismus großes Potential besitzt. Bei unserer Untersuchung hat sich gezeigt, dass die historischen Quellen nur wenige belastbare Hinweise auf die Lage von Massengräbern bieten. Insbesondere Zeugnisse aus der Nachkriegszeit haben die Erschießungsgruben im Aschendorfermoor zwar einem eingegrenzten Gebiet, in dieser Fläche allerdings ausgesprochen ungenau bezeichnet. Eine Dokumentation der 1946 vorgenommenen Exhumierungen konnte bisher nicht nachgewiesen werden, so dass in der Tat unklar bleibt, wo genau die Opfer des “Sonderkommandos Herold” ermordet wurden, wo sie ursprünglich begraben wurden und wo ihre sterblichen Überreste heute ruhen. 

Weiterführende Erkenntnisse zu diesem Befund konnten im vorliegenden Fall durch das Hinzuziehen von fernerkundlichen Daten einerseits, nicht-invasiven Messungen mittels Magnetometrie und Georadar andererseits erarbeitet werden. Obwohl die Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind, hat sich bereits gezeigt, dass sich die Überreste von Lagerinfrastrukturen und auch von verfüllten Gruben, die als Massengräber angesprochen werden können, auf diese Weise detektieren und vermessen lassen.   

Unser Ansatz und die mit seiner Hilfe erarbeiteten Ergebnisse unterstreichen, dass Überreste zerstörter und/oder überdeckter und also an der Oberfläche nicht mehr sichtbarer Gewaltorte auf diese Weise erschlossen werden können. Die Integration von historischen und geowissenschaftlichen Methoden bzw. Datenebenen erschließt weiterführende Möglichkeiten der Bearbeitung von Forschungsfragen auch zu sehr rezenten historischen Ereignissen, die häufig in den konventionellen Quellen weit weniger gut dokumentiert sind, als vermutet.

Die Ergebnisse einer so konzipierten Konfliktlandschaftsforschung tragen nicht nur zur Klärung von Ereignishorizonten bei, sondern bieten auch Erkenntnisse über die Transformation von Gewaltorten des Zweiten Weltkrieges in den vergangenen 75 Jahren. Sie können damit Beiträge zur Dokumentation, Rekonstruktion und schließlich der Vermittlung der Geschichte solcher Orte bieten, die insbesondere auch das Kontinuum ihrer ständigen Veränderung und Überformung erschließt. Daraus ergeben sich unmittelbare Schnittstellen zur Gedenkstättenpädagogik bzw. zur Musealisierung von Gewaltorten. 

Weitere Explorationen vor Ort sollen dazu beitragen, nicht nur Forschung und Vermittlung, sondern insbesondere auch die pädagogische Arbeit der Gedenkstätte Esterwegen zu unterstützen und Lücken in der Aufarbeitung des “Herold"-Massakers zu schließen. Auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse lassen sich innovative digitale Konzepte für Dokumentation und Vermittlung erarbeiten, anhand derer die wissenschaftlichen Ergebnisse nachhaltig für die Erinnerungsarbeit genutzt werden könnten.  

Geoinformationssysteme erweisen sich dabei als wichtiges Werkzeug. Sie erlauben eine systematisch-chronologische Analyse raumbezogener historischer und rezenter Quellen, bei der Raum- und Zeitbezug die unterschiedlichen Befunde und Repräsentationen in ein produktives Verhältnis setzen und analysierbar machen. So können aus der Rekonstruktion einzelner Zeitschichten in historischen Luftbildern oder auch Karten, Plänen und Planskizzen differenzierte Betrachtungen über den materiellen Zustand und die diskursive bzw. narrative Produktion von Gewaltorten bzw. Konfiktlandschaften hergeleitet werden.

Die geodätischen Konventionen und die Maßstabstreue, die Geoinformationssystemen zugrunde liegen, tragen dazu bei, Varianzen in der Repräsentation vermeintlicher historischer Realität in Quellen sichtbar und diskutierbar zu machen; natur- und sozial- bzw. kulturwissenschaftliche Methoden greifen produktiv ineinander. Dies gilt insbesondere auch für retrospektive Visualisierungen und Rekonstruktionen, wie die in dieser Studie genutzten Planskizzen mit den Verortungen der Massengräber. Damit erlauben uns Geographische Informationssysteme eine Integration und eine umfassende analytische Zusammenschau von geo- und geschichtswissenschaftlichen Perspektiven.

Kritisch zu diskutieren bleibt dabei selbstverständlich der Einfluss von bildgebenden Verfahren, die Messdaten repräsentieren, sowie auch insgesamt kartographischer Konstruktionen auf den Erkenntnisprozess. Gerade die Integration historischer Dokumente in georeferenzierte Darstellungs- und Analyseformate steckt methodisch noch in ihren Anfängen.

Im Bereich des Lagergeländes haben unsere Untersuchungen ergeben, dass trotz ereignisnaher Zerstörung und bis in die Gegenwart andauernder materieller Transformationen im Areal durch landwirtschaftliche Nutzung, immer noch zahlreiche Reste der Lagerinfrastruktur im Boden erhalten geblieben sind bzw. sich im Untergrund in Überresten und detektierbaren Bodenverlagerungen abzeichnen. Geowissenschaftliche Erkundungsverfahren können diese Überreste effizient und präzise detektieren und dokumentieren. 

Durch die Anwendung dieser Verfahren an Grablagen im Bereich des Friedhofs konnten wir wertvolle Erfahrungen im Hinblick auf zukünftige Bewertungen geophysikalischer Messergebnisse bei der Suche und Erforschung der Befundklasse “Massengrab” gewinnen. Da geophysikalische Erkundungen zerstörungsfrei bzw. nicht-invasiv erfolgen, lassen sich Flächen mit dieser Befundklasse auch mit der gebotenen Pietät bearbeiten. 

Zum jetzt erreichten Stand der Untersuchung sind die erforderlichen explorativen Ansätze im Aschendorfermoor bzw. Lager II erprobt. Eine an die bestehenden und neu entstandenen Fragestellungen sowie an das Areal angepasste Methodenkette ist entwickelt. Im nächsten Schritt gilt es, die magnetometrische Kartierung aller begehbaren Bereiche des ehemaligen Lagergeländes zu realisieren und mittels minimalinvasiver Bohrsondagen die Befunde der Magnetometrie durch eine Untersuchung der Prozesse im “Archiv Boden” weiter zu differenzieren. 

Neben einer genaueren Untersuchung der erhaltenen Lagerinfrastrukturen - und etwa Überlegungen, wie deren unterirdische Kartierung auch in die geschichtsdidaktische Vermittlung des “Gewaltortes Aschendorfermoor” einbezogen werden kann - streben wir an, die Suche nach Massengräbern im Bereich der Grablage A und der Umgebung des Ehrenfriedhofs fortzuführen. Daneben soll auch die noch nicht beforschte Grablage C in die Untersuchung einbezogen werden. 

Zum jetzigen Zeitpunkt können vier Befunde mit Blick auf die Ereignisrekonstruktion festgehalten werden. 

1. Der Häftlingsbereich des Lagers II/Aschendorfermoor ist im Untergrund des Geländes durch deutliche Spuren erhalten. 

2. Im Lagergelände (Grablage B) konnten Hinweise auf eine verfüllte Grube im Umfeld der in den Quellen bezeichneten Punkte detektiert werden. 

3. Im Bereich der Kriegsgräberstätte konnten mehrere verfüllte Gruben detektiert werden, die mit großer Wahrscheinlichkeit mit den Umbettungen im Jahr 1946 in Zusammenhang stehen. 

4. Untersuchungen der großen und sehr ungenau verorteten Erschießungsgruben waren bisher aus rechtlichen Gründen nicht möglich, sollten aber dringend umgesetzt werden. 

Alle Befunde müssen in weiteren Untersuchungen vor Ort erhärtet und differenziert werden. Das Lager II/Aschendorfermoor besitzt damit das Potential zu einem der ersten vollständig, mit Hilfe der in diesem Beitrag beschriebenen Methoden dokumentierten Standorte im Bereich der Emslandlager zu werden.